Bis heute ist "Another Perfect Day" eines der einzigartigsten (wenn auch missverstandenen) Alben im gesamten Motörhead-Katalog. "Another Perfect Day" war das erste Werk der Band ohne den legendären Axt-Meister "Fast" Eddie Clarke (nach sechs Alben, von denen mindestens drei immer noch als zeitlose Klassiker gelten) und sollte der einzige Auftritt der Band mit dem ehemaligen Ladgitarristen Brian "Robbo" Robertson von Thin Lizzy sein. Das Album war von Anfang an eindeutig eine nervöse musikalische Verbindung und fängt die Motörhead-Hauptdarsteller Ian "Lemmy" Kilmister und "Philthy Animal" Taylor ein, die darum kämpfen, ihre rohe Kraft und beispiellose Verzerrung an Robertsons Mainstream-Hardrock-Instinkte und melodische Tendenzen anzupassen. Teilweise dank Tony Platts exzellenter Produktion zählt "Another Perfect Day" zu den am besten klingenden Platten aller Zeiten.


MOTÖRHEAD - Another Perfect Day

(Deluxe 40th-Anniversary-Edition)

 

ARTIST: Motörhead

TITLE: Another Perfect Day

LABEL: BMG

RELEASE DATE: 03.11.2023

GENRE: Heavy Rock / Metal

LOCATION: Vereintes Königreich

RUNNING TIME: 73:56

RATING: 8 / 10


1. Back At The Funny Farm

Der Eröffnungstrack "Back at the Funny Farm" ist ohne Frage einer der besten Songs von Motörhead. Robbos Gitarrenarbeit unterscheidet sich wesentlich von dem Gitarrenspiel eines Fast Eddies, der einen eher bluesigen Ansatz bevorzugte, während Robbos effektgeladener Stil, oft mit Overdubs, der Band eine völlig andere Dimension verlieh. In gewisser Weise dient es als Mikrokosmos von allem, was die Band bis zu diesem Punkt ihrer Karriere getan hat. "Back at the Funny Farm" versetzt einen mit einem seinem wummernden Bass-Intro und einer tuckernden Gitarre zurück in die "Overkill"-Tage. Der Refrain "Stay calm, don't be alarmed, it's just a holiday, Back at the funny farm" dient als ironische Beschreibung der Anstalt, in der der Protagonist gefangen ist. Die Anstalt wird als "lustiger Bauernhof" bezeichnet, was die Absurdität und das Unbehagen der Situation betont.

 

2. Shine

Am Beispiel des leichtfüßigen Cruisergewichts "Shine" behält Motörhead trotz der Verzerrung in einer unorthodoxen, galoppierenden Taktart seine gesamte Schlagkraft bei. Das Hauptriff von "Shine", dem Song, der auf den fantastischen Opener folgt, zeugt von Progressivität. Fast alle Titel haben ruhige, unaufdringliche Einleitungsabschnitte, die direkt vom Prog-Rock im Stil der 70er Jahre beeinflusst sind. Beeinträchtigt das die Qualität des Albums? Nein, es ist einfach anders. "Shine" ist vielleicht das Einzigartigste von allen, das über ein "aufsteigendes" Intro, gewissermaßen jede Note ist etwa eine Stufe höher gespielt, verfügt, bevor einem ein paar klobige Riffs ins Gesicht geschleudert werden.

 

3. Dancing On Your Grave

"Dancing on Your Grave" ist ein Motörhead-Klassiker und (von Sepultura als Inspiration für ihren Namen genannt) eine Hymne, die heute genauso erwähnenswert ist wie jeder andere Song in ihrem umfangreichen Arsenal und trotzdem ist es ein seltsam melodischer Track. Trotzdem ist es bei weitem nicht so abgeschwächt wie "One Track Mind" oder der Titelsong. Einerseits waren die herrlichen arpeggierten Melodien, die die Singles "Dancing on Your Grave" und "Shine" (Robertsons offensichtlichste Beiträge hier) charakterisieren, nach klassischen Motörhead-Maßstäben ein totaler Schock für das System, aber ihre Popularität und ultimative Langlebigkeit als Band-Highlights ist ein Beweis für ihre Exzellenz. Der Songtext von "Dancing on Your Grave" bringt somit die Freude und Genugtuung zum Ausdruck, die jemand empfindet, wenn eine Person, die sich für mächtig und erfolgreich hält, scheitert und stirbt. Es ist eine Art Triumph über die Arroganz und Selbstgefälligkeit dieser Person.

 

4. Rock It

War die Welt bereit für ein Boogie-Woogie-Klavier auf einem Motörhead-Album? Robertson trägt dies in den Songs "Shine" und "Rock It" bei, und obwohl es keine große Sache ist, ist es doch ungewöhnlich. Lemmys treibender Rickenbacker treibt "Rock It" an, ist aber abgesehen von dem Journey-ähnlichen Soli nichts Besonderes. Insgesamt drückt "Rock It" von Motörhead die Bedeutung von Rock'n'Roll-Musik aus und wie sie einen Menschen in eine andere Welt versetzen und ihn zum Leben erwecken kann. Es ist eine Hymne an die Energie und die Kraft der Musik und ermutigt die Zuhörer, diese Leidenschaft zu genießen und sich von ihr mitreißen zu lassen.

 

5. One Track Mind

Eines der besten Stücke ist "One Track Mind". Es ist kein typischer Motörhead-Song, denn statt zynischer Kampfeslust und geradliniger Geschwindigkeit offenbart der Dreier seine doomaffine Seite. Während der Song einige von Robertsons dynamischsten Spielzügen zeigt und Lemmy wieder einmal mehr den zweiten Lead als den Bass spielt. Auch Taylors Schlagzeugspiel ist maßvoller, obwohl er bei Bedarf immer noch für Furore sorgen kann. Gut eingehängte Leads sorgen für einen lässigen Flow und der minimalistische, eingängige Refrain rundet den Track nahezu perfekt ab. Robertson hat Raum, sein Können unter Beweis zu stellen und seine Gitarrenarbeit macht "One Track Mind" zu dem, was es ist: eine spannende Nummer.




6. Another Perfect Day

Der Titelsong dieses Albums ist kein reißender, rasanter Song. Motörhead ist nicht dafür bekannt, Songs im Balladenstil zu spielen, aber die langsameren Stücke sind hier sehr gut umgesetzt. Lemmy weiß mit seiner Stimme umzugehen, auch wenn die Musik nicht ganz so aggressiv ist, dennoch eine gewisse Schwere für sich sprechen lässt. Seltsam für Motörhead, aber unterhaltsam. Ja, es ist eine Abkehr vom Vorgänger "Iron Fist", aber der Motörhead-Sound ist immer noch unverwechselbar und präsent. Insgesamt ist "Another Perfect Day" ein Song, der die düstere Realität des selbstzerstörerischen Lebensstils und die Unfähigkeit, aus vergangenen Fehlern zu lernen, thematisiert. Der Text drückt Frustration und Resignation aus und warnt vor den Konsequenzen eines solchen Lebenswegs.

 

7. Marching Off To War

"Marching Off To War" zum Beispiel klingt locker und unheimlich zugleich. Die würzigen und exzentrischen Akkordfolgen sind in "Marching Off To War" und "Back at the Funny Farm" hypnotisch. Offensichtlich melodisch und doch unbeschreiblich schlüpfrig ist "Another Perfect Day" eine Verbindung von Progressive-Rock-Markenzeichen und Motörheads bewährten Rock'n'Roll-Beatdowns, ohne dass sich das eine vom anderen ablenken lässt. Sowohl "Just Another Day" als auch "Marching Off To War" werden von langen Instrumentalpausen dominiert, darunter auch lange Soloabschnitte von Robertson. Die Länge dieser Stücke ist ein weiterer Unterschied zu früheren Alben. Robertson scheint genügend Zeit zu haben, um sicherzustellen, dass er wahrgenommen wird. Das ist überhaupt nicht unsympathisch, im Großen und Ganzen machen sie sogar Spaß. Das Titellied und "Marching Off To War" machen deutlich, dass die ekstatische Wah-Wah-Gitarre von Robbo und der Gesang von Lemmy und Phils Trommelgewitter hier wie aus einem Guss klingen. Klar ist alles etwas melodischer und "technischer", aber auch irgendwie tiefgründiger und so düster und herrlich nihilistisch wie immer. Die Breaks bei diesen beiden Songs sind schlichtweg genial.

 

8. I Got Mine

Weitere Beispiele, nämlich "Dancing on Your Grave" oder "I Got Mine", zeigen aufgrund der Gitarrenarbeit teilweise eine fast schon nachsichtige Seite der Band. Robertson scheint auf einer Mission zu sein und versucht, Lemmys spirituelles Baby von einer Metal- in eine Rockband zu verwandeln. Dabei entstehen Stücke, die nichts mit "Ace of Spades" oder vergleichbaren Signature-Tracks der Gruppe gemein haben. Das wahre i-Tüpfelchen ist hier Brian Robertson. Phil Taylor (Schlagzeug) sagte: Und außerdem ist Robbo ein besserer Gitarrist als Eddie. Ich denke, dass ich mich in diesem Punkt auf die Seite von Phil stellen muss. Bei früheren Motörhead-Werken blieb die Gitarre sehr eng am Bass, aber dieses Mal geht Robbo alleine vor und füllt jeden Song mit seinen eigenen Fills oder Variationen. Auch seine Soli sind einfach großartig. Jeder von ihnen ist wie ein Shred-Fest, aber sie sind alle melodisch. Songs wie "I Got Mine" und "Dancing on Your Grave" enthalten sogar zwei Soli, beide gleichermaßen überragend.

 

9. Tales Of Glory

"Tales of Glory" und "Die You Bastard" könnten, abgesehen von einigen großartigen melodischen Refrains, alle problemlos hintereinander mit Songs on dem Album "Ace Of Spades" gespielt werden und man würde den Unterschied nie bemerken. "Tales of Glory" hat einen enormen Southern-Rock-Einfluss, und das umso mehr, wenn man ein Klavier hinzufügt, das immer wieder eine Note spielt. Einige der Riffs in "Tales of Glory" erinnern mich vage an "Whole Lotta Rosie" von AC/DC, mit ein paar schleifenden Noten, die zwischen einem schnellen Palm-Mute gespielt werden, abgesehen vom Southern-Feeling. Insgesamt handelt der Song von Misstrauen, Manipulation und dem Versuch des Sängers, sich von den Lügen und Geschichten einer anderen Person zu befreien. Er ist sich bewusst, dass die Person versucht, ihn zu täuschen, und er will daraus ausbrechen.

 

10. Die You Bastard

Übrig bleibt der druckvolle, unter drei Minuten lange und düsterere "Die You Bastard". Es ist möglicherweise der schwächste Song auf dem Album und stellt einen weiteren Stilwechsel dar. Die knappen Riffs und die fast Punkrock-Atmosphäre zeigen auf, dass diese Besetzung abwechslungsreicher hätte schreiben könnte als das, was man hier hört. "Die You Bastard" ist einfach ein typischer, geradliniger Motörhead-Song, bei denen die Gitarre eng am Bass haftet. "Die You Bastard" hat den melodischsten Refrain des gesamten Albums. Der Text beschreibt eine bedrohliche Atmosphäre, in der man immer auf der Hut sein muss. Die Metapher des "fremden Freundes" und des Schattens, der einen immer begleitet, verdeutlicht, dass man sich niemals sicher fühlen kann.



"Another Perfect Day" zeichnet für uns ein ganz anderes Bild. Ich behaupte nicht, dass Motörhead atmosphärisch ist, aber für ihren Stil ist dies ein sehr düsteres Album. Es bleibt mir im Gedächtnis – der spürbare Wahnsinn von "Back at the Funny Farm", das verzweifelte Gefühl des Refrains in "Marching off to War", die Depression, durch den ewigen Trubel erschöpft zu sein im Titeltrack … vielleicht fällt das manchen Leuten nicht auf, mir aber auf jeden Fall. Kurz gesagt, das ist der Grund, warum mir "Another Perfect Day" so gut gefällt. Für mich fühlt es sich fast wie Motörheads Versuch an, ihre Musik und ihr Image in eine etwas andere Richtung zu lenken und dabei ihren Wurzeln treu zu bleiben. Natürlich ist uns allen bewusst, dass eine solche Veränderung nie wirklich stattgefunden hat, und die meisten sind auch dafür dankbar, aber ich empfehle dieses Album immer noch wärmstens, um aus einem sehr seltsam platzierten Fenster in ihre Vergangenheit zu blicken.

 

 



Insgesamt sind die Lieder gut. Lemmys Gesang ist hier so gut wie nie zuvor, und Taylors Schlagzeugspiel klingt ebenfalls gut, obwohl es sich anfühlt, als ob es seine Intensität verloren hätte und mehr darauf bedacht sei, an bestimmten Stellen einfach den Takt zu halten. Robertson ist exzellent, aber sein Stil macht letztendlich deutlich, dass die Band tatsächlich in eine andere Ära eingetreten ist. Angesichts der Tatsache, dass es das einzige Album war, auf dem er spielte, erwiesen sich zweifellos auch die anderen anstrengenden Faktoren als Problem.

 

Was ist dann das Fazit von "Another Perfect Day"? Ist es ein Treffer oder ein Fehlschlag? Nun, obwohl es anders klingt als jedes andere Motörhead-Album, ist es nicht nur für mich, sondern auch für die überwiegende Mehrheit der Fanzone der Band eine sehr erfreuliche Erfahrung. Es ist reich an großartigen Riffs, wunderschönen melodischen Soli , es ist immer das unverwechselbare Lemmy’s-Krächzen zu hören, das keinen Zweifel daran lässt, welche Band gerade spielt. Ich schätze "Another Perfect Day" sehr und stufe es in der Motörhead-Diskografie ganz oben ein.



Als Zugabe gibt es noch eine Reihe an Bonus-Tracks. Zum einen eine Live-Version "(I’m Your) Hoochie Coochie Man" ein Cover von Willie Dixon und "(Don't Need) Religion". Beide Songs befinden sich auf der B-Seite der im Juli 1983 veröffentlichten "Shine" 12". Aufgenommen an der Sheffield University und Manchester Apollo am 9. bzw. 10. Juni 1983. Des Weiteren befinden sich drei Demo-Songs des "Another Perfect Day" Albums. Zum einen hätten wir "Shine", das den Arbeitstitel "Climber "trägt, "One Track Mind", das unter dem Namen "Chinese" zu finden ist und abschließend "Die You Bastard", dessen Demo-Titel "Fast One" lautet. Man beachte, dass die Demo-Songs teilweise unterschiedlichen Texten und Arrangements versehenen sind. Abschließend befindet sich noch eine instrumentale Version von "Shine" auf dem Album und zu guter Letzt "Turn You Round Again". Die B-Seite der "I Got Mine" Single und die erste Single überhaupt mit Brian "Robbo" Robertson an der Gitarre. Die Single erreichte Platz 46 der britischen Single-Charts.


LP & CD TRACK LISTING:

Original “Another Perfect Day” Album

01. Back At The Funny Farm

02. Shine

03. Dancing On Your Grave

04. Rock It

05. One Track Mind

06. Another Perfect Day

07. Off To War

08. I Got Mine

09. Tales Of Glory

10. Die You Bastard

 

CD & DIGITAL BONUS TRACKS:

11. Turn You Round Again (I Got Mine, B-Side)

12. Hoochie Coochie Man (Live, Shine B-Side)

13. (Don’t Need) Religion (Live, Shine B-Side)

14. Climber (Demo)

15. Fast One (Demo)

16. Chinese (Demo)

17. Climber (Instrumental Demo)

 

LINE-UP:

Lemmy Kilmister (bass, vocals)

Brian Robertson (guitars)

Phil 'Philthy Animal' Taylor (drums)


10.10.2023 veröffentlicht von: Thomas M. © Metal-Division Magazine

Facebook - Instagram - Youtube - Twitter - Email