SYLMAR – Matching Caskets
Label: ROLA Records / Colemine Records Genre: Indie Rock / Stoner Jazz / Experimental
Spielzeit: ca. 42 Minuten
Mit Matching Caskets legt das Quintett SYLMAR aus Cincinnati ein Album vor, das sich als musikalischer Drahtseilakt zwischen kontrollierter Ekstase und introspektiver Tiefe präsentiert. Die neun Tracks sind keine bloßen Songs, sondern Miniaturen eines größeren Narrativs – ein Soundtagebuch über Identität, Zerfall und die Absurdität des Alltags. Der Opener „White Bread“ ist alles andere als fade: Mit nervösem Groove und sarkastischer Lyrik entlarvt er die Monotonie suburbaner Lebensentwürfe. Der Gesang pendelt zwischen resignierter Beobachtung und explosiver Wut, während die Band rhythmisch vertrackt und doch erstaunlich tight agiert.
„Flyswatter“ folgt als musikalischer Insektenvernichter – hektisch, aggressiv, mit jazzigen Breaks und einem Basslauf, der sich wie ein Puls durch den Song zieht. „Bardo“, benannt nach dem tibetischen Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt, ist ein psychedelischer Trip: sphärische Keys, flirrende Gitarren und ein Gesang, der sich wie ein innerer Monolog anfühlt. Mit „Canal“ erreicht das Album seinen narrativen Höhepunkt. Der bereits als Single veröffentlichte Track erzählt die Geschichte eines TikTok-Influencers, inspiriert von Polanskis „Chinatown“, der sich in seiner digitalen Persona verliert. Musikalisch changiert der Song zwischen Indie-Rock und jazziger Dekonstruktion – ein Paradebeispiel für SYLMARs Fähigkeit, Storytelling und Sound zu verschmelzen.
„Pontius“ ist ein düsterer Kommentar zur moralischen Verantwortungslosigkeit – mit biblischer Referenz und musikalischer Schwere. Der Song wirkt wie ein innerer Gerichtssaal, in dem Schuld und Verdrängung verhandelt werden. „Doppler“ hingegen spielt mit akustischer Perspektive: Die Band nutzt dynamische Verschiebungen, um Nähe und Distanz hörbar zu machen – ein technisches Meisterstück. „Vidalia’s Dementia (Onions)“ ist der wohl exzentrischste Track des Albums: eine Ode an die Zwiebel als Metapher für Erinnerung und Zerfall. Die Musik schält sich Schicht für Schicht, von funkigen Rhythmen bis zu noisigen Ausbrüchen.
„Babysitter“ bringt eine fast poppige Leichtigkeit ins Spiel, allerdings mit einem bitteren Unterton – die Melodie täuscht über die dunkle Thematik hinweg. Den Abschluss bildet „L.A. Waitlist“, ein melancholischer Abgesang auf gescheiterte Träume und die Illusion von Glamour. Der Song ist reduziert, fast hymnisch, und lässt das Album mit einem Gefühl von offener Frage enden.
Matching Caskets ist kein Album, das sich beim ersten Hören erschließt. Es fordert Aufmerksamkeit, Kontext und Wiederholung. SYLMAR gelingt hier ein Werk, das musikalisch ebenso vielschichtig ist wie thematisch. Die Produktion bleibt bewusst roh und direkt – ein Spiegel der Live-Energie, die die Band kultiviert. Wer bereit ist, sich auf diesen Trip einzulassen, wird belohnt mit einem Album, das lange nachhallt.